Resignation in Tech

Ab morgen ist September, das „Draußen“ sieht heute schon ein wenig herbstlich aus – Zeit also für eine Erwachsenenportion Depression Resignation. Und um die Sache nicht allzusehr auszuweiten, resigniere ich halt ein wenig in dem Bereich, der uns alle, die hier mitlesen, und die paar anderen auch, verbindet: das Netz und die Technik dahinter, die Möglichkeiten, die uns geboten sind, und die, die wir nicht nützen.

Wer hier schon länger, d.h. auch vor dem x-ten Neustart im Frühjahr 2025, mitgelesen hat, kennt meine Begeisterung für alternative Betriebssysteme, für schicke Browser und Mailprogramme, für ziemlich schwer knackbare Verschlüsselung, für sichere Messenger, für soziale Netze…

Zumindest die letzte Begeisterung hat als erste schwer nachgelassen, als wir 2018 erfuhren, wie Facebook mit den Daten seiner Users umgegangen ist – Stichwort: Cambridge Analytica. Seitdem habe ich keinen Account bei irgendeiner Ausgabe des Systems Facebook (heute Meta) mehr – nicht bei Facebook selbst, nicht bei Instagram, und schon gar nicht bei WhatsApp. Und wenn ich mich aus diesem oder jenem Grunde nicht schon vorher in Richtung Einzelgänger entwickelt hätte – spätestens mit dem Lossagen von WhatsApp wäre es passiert. Irgendwie sind auch in meiner Umgebung, vom Kater mal abgesehen, (fast) alle noch WhatsApp-Users. Fast so, als hätten sie den Titel des Buches, das ich in den Jahren seither immer mal wieder verschenkt habe, wörtlich genommen: „Dann haben die halt meine Daten. Na und!?“

Seufz. Ganz so weit bin ich noch nicht verkommen gekommen. Aber auch meine Begeisterung für fortgeschrittene Technik flackert immer seltener auf. Meine Mail läuft über einen bekannten Massenmailer (ist ohnehin vor allem Kommunikation mit Maschinen, Rechnungen & so), meine PGP-Schlüssel habe ich irgendwo verlegt, persönliche Kommunikation findet überwiegend in Signal statt, und wenn ich schon mal was neues, halbwegs Aufregendes entdecke wie einen Messenger, der Messaging, PGP-Verschlüsselung und die anbieterunabhängige Plattform SMTP (vulgo Email) miteinander verknüpft, so interessiert es die verbliebene Leserschaft dieser Seiten ebenso wenig wie die dito persönliche Umgebung. Schnief. Dann eben nicht.

Gleichzeitig interessiert umgekehrt mich eine Entwicklung nur wenig, die offenbar alle anderen (Mitlesende evtl. ausgeschlossen) restlos begeistert: LLMs, gerne als künstliche Intelligenz gehypet und vermarktet. Mit Freude lese ich, dass der Mann hinter dem Browser meiner Wahl den Quatsch, KI der Menschheit jetzt über ihre Browser aufzudrücken, nicht mitmachen will. KI ist gefährlich, verdummt die Users, schadet dem Planeten, was nicht alles – das steht so oft im Netz, dass ich es nicht auch noch aufschreiben muss.

So koppele ich mich langsam von all dem ab, was das letzte Vierteljahrhundert mein privates Denken ebenso beeinflusst wie mein berufliches Dasein gesichert hat. Und dann soll der Mensch nicht resignieren.

Und jetzt regnet’s auch noch.

Note to self: Heul doch!

Und wenn wir schon mal beim Thema „Verschlüsselung im Netz“ sind: Ich kann, will und werde es nicht verstehen, warum die Menschen um mich herum immer noch nach dem (gerade nicht so gemeinten) Buchtitel „Dann haben die halt meine Daten. Na und?“ verfahren, und es erst einen Trump braucht, um sie zumindest von US-amerikanischen Datensammlern gaaanz langsam, Schritt für, äh, wo war ich – ach ja: Schritt wegzubekommen.

Ja, ich weiß, Mail zu verschlüsseln ist vizekompliziert („viel zu kompliziert“) und für Outlook-Nutzer ohne Microsoft certified engineer nahezu unmöglich – und dann gibt es auch noch zwei zueinander inkompatible Standards, PGP und S/MIME. Dabei ist die Sache schon nicht mehr so kompliziert, seit es für Webmailer Browser-Plugins wie Mailvelope oder (nur für GMail) FlowCrypt gibt – und GMX das sogar bis zum Beweis des Gegenteils in das eigene Angebot eingebaut hat.

Aber Mail verliert ohnehin an Bedeutung, seit es mehr (Signal) oder weniger (Telegram) verschlüsselte Messenger gibt, die einem die ganze Arbeit mit der Verschlüsselung abnehmen und das darüber Nachdenken noch dazu.

Dass aber ausgerechnet ein Messenger mit reichlich unklaren russischen Wurzeln und einer mit Sitz in den USA marktführende Rollen spielen in Zeiten von und , will mir nicht in den Kopf. Klar, Signal gehört zu den Guten, aber die Server, über die der Dienst läuft, nicht. Und Telegram sitzt in Dubai. Und in London. Und in Belize. Oder auch nicht.

Und trotzdem zucken die Menschen mit den Achseln, wenn ich ihnen von Threema, Wire oder Delta Chat erzähle – die vielen kleineren Messenger und offenen, aber komplizierten Protokolle mal ganz außen vorgelassen. Sie benutzen Signal wie vor zehn und E-Mail wie vor hundert zwanzig Jahren.

Na gut. Dann heul‘ ich eben.

Der Mail-Exot aus Prag

Die Saga von der idealen Mail geht weiter – diesmal nicht auf der Seite der Dienste, sondern lokal. Gestern war’s, als ich schrieb:

Screenshot meines Toots: "Schön zu wissen, dass es außer mir noch andere Mailnerds gibt." mit einem Link zu einem heise-Artikel "Fünf wirklich gute Alternativen zu Outlook und Thunderbird"
Mail-Toot tut gut

Schön zu wissen, dass es außer mir noch andere Mailnerds gibt.

https://bonn.social/@kklein/114161936165255794

…verbunden mit einem Link zu einem Artikel über Fünf wirklich gute Alternativen zu Outlook und Thunderbird. Mal abgesehen davon, dass es zu Outlook noch nicht einmal gute Alternativen braucht – da tut es jede, und das Leben wird grundlegend besser… Aber zurück zum Thema.

Jan-Keno Janssen fasst in dem Artikel (eigentlich ist es ein Video mit Transkript) seine Eindrücke zu fünf Mailclients zusammen für diejenigen, die Webmail nicht ausreichend finden: eM Client, Canary Mail, FairEmail, AirMail und den eingebauten Mailclient von Vivaldi. Drei davon hatte ich schon mal ausprobiert; FairEmail nicht, weil Android-only, und AirMail nicht, weil Dings.

Der Vivaldi-Mailclient sieht sich in der Nachfolge des Mailers des „klassischen“ Opera-Browsers – mit einer Menge Datenbank-Klimbim im Hintergrund, der sicher sehr nützlich ist, aber die Ecken und Kanten im Frontend m.E. nicht ausgleicht. Und Canary Mail ist mir schon früher begegnet, als ich einen PGP-fähigen Mailer für iOS suchte und in Canary eine reichlich over-engineered App fand.

eM Client dagegen – als ich das in dem Transkript las, wurden Erinnerungen wach an meine Experimente mit eM Client unter Windows 10, an ein Mailprogramm, das so ziemlich alles konnte, was man mit Mail, Kalender und Kontakten anstellen kann, wenn auch nicht mit allen Anbietern gleich gut. Außerdem kommt der em Client – hallo, – aus Prag, Tschechische Republik, ist leider nicht open source (aber das ist unter den verbreiteten Mailapps doch ohnehin nur Thunderbird, oder?) und hat ein interessantes, wenn auch verwirrendes Lizenzmodell. Neben der Gratislizenz für den bescheidenen Privatnutzer gibt es noch verschiedene andere Lizenzen, für die es dann aber auch abzudrücken gilt. Und die Firma merkt sich das. Als ich den eM Client v. 10 heute auf dem Mac installierte, wußte er, dass ich mal für die Version 7 eine Lifetime-Lizenz gekauft hatte, die jetzt für die Version 10 genauso gültig war. Damals hatte ich dafür, glaube ich, € 89 bezahlt; heute kostet das gleiche € 149,95, dann aber gleich für drei Rechner. Richtig billig ist das nicht – mit Ausnahme der Gratislizenz (ach was!).

Der eM Client kriegt auf meinem Mac also eine neue Chance – was aber wirklich interessant ist: Es gibt ihn inzwischen auch mobil, für iOS und Android. Und weil die Desktop-Version Verschlüsselung nach PGP und S/MIME beherrscht, tun das die mobilen Versionen auch. Verschlüsselungsnerds, die sich bisher mit Canary Mail oder anderen Exotenlösungen auf ihren Mobilquatschen herumgeplagt haben, horchen interessiert auf.

Aber ist das nicht ähnlich over-engineered wie Canary (s.o.)? Klar, isses, auch wenn die mobilen Versionen längst nicht so viele Einstellungsmenus zum Darin-Verirren haben wie die Desktopversion; sie können auch keine Kalender und wollen nicht recht mit der iOS-Kontaktliste. Was aber sehr schick ist: Die Einstellungen lassen sich per QR-Code von einem Gerät aufs andere übertragen.

Was die App wirklich kann, werde ich in den nächsten Tagen herausbekommen. Ich bin gespannt.

Nachtrag: Leider glauben auch die Menschen hinter dem eM Client, mit KI-Zauber Punkte machen zu müssen. Zum Glück ist das ein kostenpflichtiges Add-on und deshalb auf meinen Geräten nicht zu finden. Ich schreibe mir meine Mails noch selber.

Nachbemerkung, wg. Mastodon

Eigentlich wollte ich das Folgende in meinem Mastodon-Account schreiben – aber damit hätte ich zu den schon Bekehrten gepredigt. Die bekommen das noch früh genug mit, wenn dieser Kurztext in ein paar Minuten dorthin gepustet wurde.

Es war, glaube ich, im Jahr 2020, als ich meinen ersten Mastodon-Account hatte – damals noch bei SDF, einem offenen UNIX-Server, den ich jahrelang zum Üben benützt habe. Schon damals hatte ich die Schnauze voll von Facebook und allen damit verknüpften Produkten, und auch meine Liebe zu Twitter war heftig am Erkalten am Sein.

Und ich hub an und sprach zu einem Kollegen (damals hatte ich noch ein Büro und Kollegen, denen ich dort oder auffem Gang begegnete) von diesem Mastodon, einem dezentralen „Twitter-Ersatz“. So musste man es für die Uneingeweihten bezeichnen, damit die überhaupt wussten…

Der Kollege wusste aber und war eingeweiht, und er hub an und sprach zu mir und sagte, dass er Mastodon auch schon mal ausprobiert hätte, aber da sei ja gar nichts los. Meinen Einwand, dass mit den ersten fünf Gefolgten vielleicht wirklich noch nicht viel los sei, ließ er nicht gelten.

Tief in meinem Innern grummelte ich und musste ihm Recht geben: Da war wirklich noch nicht viel los. Mift!

Es ist fünf Jahre später, seit drei Jahren bin ich bei bonn.social zuhause, und ha, von wegen nichts los! Was inzwischen in meiner Timeline vor sich geht, stellt meine Twitter-Timeline in ihren besten Jahren (so bis 2017 oder so) glatt und ohne zu fragen in den Schatten. Deshalb von hier aus ein begeistertes Dankeschön an alle, die hier mitschreiben, mitlesen, mitdiskutieren. Es ist wunderbar mit Euch!

Wem mögen die Konzerne gehören?

Seit es (für mich) E-Mail gab, also seit 1993, habe ich ein Faible für dieses Kommunikationsmittel. Über die Jahre hat sich dabei die Art des Faszinosums (dieses Wort hat den CDU-Politiker Philipp Jenninger mal den Job gekostet, zum Glück in einem anderen Zusammenhang) verändert. War es anfangs noch „Ui! Post! Sofort! Und gratis!“, war es später vor allem, dass Mailadressen universell verfügbar und als ebenso universelle ID verwendbar waren und sind.

Inzwischen hat die olle Mail vor allem bei Jüngeren an Attraktivität verloren. Wer seiner – oder im konkreten Fall meiner – Tochter schon eine Mail geschickt und allen Ernstes eine Antwort darauf erwartet hat, weiß, wovon ich rede. Messenger haben die Nachfolge der Mail angetreten, und zum Teil sogar zu Recht. Überzeugende oder leider auch weniger überzeugende oder gar nicht vorhandene Verschlüsselung ist einer der Gründe für diesen und gegen jenen Messenger.

Zurück zur E-Mail. Gmail-Kunden mögen es vielleicht nicht glauben, aber eine immer noch wichtige und attraktive Eigenschaft von E-Mail ist Dezentralität. Erstaunlicherweise ist es nämlich nicht Pflicht, einen E-Mail-Account bei GMail anzumelden und zu betreiben. Es mag gute Gründe dafür geben; Googles erklärte Geschäftsziele und -praktiken sprechen eher dagegen. Und das irgendwann im letzten Jahrtausend entstandene Mailprotokoll SMTP erlaubt das sogar: Jeder Mailserver (der sich an das Protokoll hält) spricht mit jedem – sogar mit einem Exoten.

Die Freiheit der Wahl beschränkt sich – Leser dieser Seiten haben das längst internalisiert, gell? – nicht auf Mailanbieter, sondern erstreckt sich auf die bereits erwähnten Messenger und auf Kurznachrichten- oder Microblogging-Plattformen (also Xwitter und so) – das an anderer Stelle erwähnte Delta Chat und natürlich Mastodon sind gute Beispiele dafür, dass zentrale Server oder Dienste nicht mehr nötig, also sowas von gestern sind, und dass moderne Dienste auf beliebig vielen, von beliebig unterschiedlichen Menschen oder Organisationen betriebenen Servern laufen und trotzdem miteinander verbunden sind.

In gewisser Weise gehören auch Blogs zum dezentralen Web, auch wenn sie erst langsam (Ping!) und zaghaft (Activitypub!) anfangen, miteinander zu reden. Aber schon vor einem Vierteljahrhundert oder noch früher waren sie ein mehr als vollwertiger Ersatz für die Leserbriefseite der lokalen Zeitung – gibt’s sowas inzwischen eigentlich noch?

Zusammengefasst: Verlasst die zentralen Dienste, lasst Eure Accounts dort, wenn Ihr sie schon nicht löscht, wenigstens in Würde verschimmeln und werft Euch mit frischer Energie auf das dezentrale Web, mit Euren eigenen, föderierten Webseiten, mit Mastodon und anderen Fediverse-Erscheinungen, mit dem Messenger und dem Mailanbieter Eurer Wahl. Dann wird das Netz auch wieder ein etwas lebenswerterer Ort. Wetten?

Ach ja. Die etwas dämliche Überschrift stammt, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Buch „ICH, Franz Josef“, mit dem der Karikaturist Dieter Hanitzsch 1982 Franz Josef Strauß, nun ja: porträtierte (Wikipedialink für die Jüngeren unter uns). Sie (die Überschrift) war darin die Kalauer-Übersetzung des englischen Ausdrucks To Whom It May Concern.