Es war 1985 in Frankfurt/Main, als ich mich – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal – beruflich in einer Lage wiederfand, die mich überforderte. Ich war für meinen damaligen Arbeitgeber auf der westdeutschen Buchmesse und hatte am Abend vor der Überforderung erfahren, dass ich am nächsten Vormittag den US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Neil Postman zu seinem frisch auf Deutsch erschienen Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ interviewen sollte. Ich war nun nicht völlig unvorbereitet zur Buchmesse gefahren – den Postman aber hatte ich nicht gelesen. Bzw. nur die Seiten, die ich am Abend im Hotelzimmer noch in mich hineinbekam.
Das Interview war entsprechend banal, und Professor Postman teilte wohl mit mir den Eindruck „Was sollte das denn jetzt?“
Im Nachhinein habe ich das Buch doch ganz gelesen – und gedacht: Das, also eine Fernsehlandschaft, in der infotainment die Information verdrängte, Fakten zunehmend durch Emotionen ersetzt und das Urteilsvermögen des Publikums nachhaltig geschädigt wird, das alles ist doch sehr weit weg. Das war anderthalb Jahre nach dem Sendestart des privaten Fernsehens in Deutschland, Satellitenempfang war zwar möglich, aber nicht verbreitet, und in Baden-Baden, wo ich damals wohnte, gab es sowas gleich gar nicht.
Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie.
N. Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, 1985
Sieben Jahre später schrieb Postman dann:
Unsere Abwehrmechanismen gegen die Informationsschwemme sind zusammengebrochen; unser Immunsystem gegen Informationen funktioniert nicht mehr. Wir leiden unter einer Art von kulturellem Aids.
N. Postman, Wir informieren uns zu Tode, 1992
Für eine Medienkassandra hatte ich Prof. Postman bei unserem Treffen in Frankfurt nicht gehalten, seine Thesen aber doch für reichlich düster. Das ist jetzt vierzig Jahre her, und Himmel, hat er Recht behalten! Er hat es zwar nicht so formuliert, aber sogar die Bannon-Methode „Flood the zone with shit“ hat er als Vermüllung des Publikums und seines Weltbildes vorausgeahnt. Und jetzt haben wir einen US-Präsidenten, der ohne Umweg vom Trash-Fernsehen und ohne Qualifikation außer der medialen direkt ins Weiße Haus gekommen war, und zu dessen Rückkehr eben das gleiche Fernsehen entscheidend beigetragen hat.
Und auf unserer Seite des Atlantik? Nicht nur, dass das Unterschichten Privatfernsehen unter dem Stein hervorgekrabbelt ist und inzwischen eine ganz andere Rolle spielt. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen (Disclosure: Ich war fast mein ganzes Berufsleben Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Systems) trägt zur Verdummung bei – ausgerechnet mit den Formaten, die neben den Nachrichten zur politischen Bildung und Aufklärung beitragen könnten. Richtig: die Talkshows, in denen überraschend oft auch Vertreter des Populismus auftreten und ungeprüftes Zeugs verbreiten dürfen.
Was ist mit den anderen Medien? Nun, aktuelle Nutzungsstatistiken habe ich nicht vorzuliegen. Aber das Leitmedium meiner Jugend (wir erinnern uns: im letzten Jahrtausend muss das gewesen sein), die gedruckte Tages- und Wochenpresse, spielt, vermute ich, kaum noch eine Rolle bei der Meinungsbildung; eine Ausnahme dürfte nur das Pöbelblatt mit den VIER BUCHSTABEN darstellen. Das Radio ist unterdessen etwas, das man im Auto hört – und auch das ist möglicherweise eine Technik auf dem absteigenden Ast. Und das Internet? Hach ja, das Internet, wo jede/r schreiben (oder in eine Videokamera hineinsagen) kann, was er/sie will…
Jetzt wäre eigentlich der Absatz mit den konstruktiven Vorschlägen und dem optimistischen Aussichten fällig. Aber den lasse ich heute mal weg.