Aus der Zeit gefallen

Wer? Ich. Warum?

Nun ja, aus der Zeit zu fallen ist eine häufige Begleiterscheinung des Älterwerdens. Ich finde es umso spannender, weil ich in der Branche, in der ich noch eine Zeitlang meinen Lebensunterhalt verdienen werde, Veränderungen im Nachrichten- oder überhaupt Medienkonsum einerseits durchaus nachvollziehen kann, andererseits aber gerne selbst an Gewohnheiten aus meiner Jugend festhalten würde. Nicht unbedingt aus der ersten Jugend (ich habe ja schon die zweite und dritte aufm Buckel), und nein, das Gelaber vom haptischen Vergnügen einer Papierzeitung kann mir gestohlen bleiben, seit ich in den Neunzigern Papier und vor allem Druckerschwärze der Washington Post näher und dauerhafter kennenlernte, als ich es jemals wollte. (Inzwischen, und nicht erst seit gestern, hat die WashPost viel besseres Papier und Farben, die besser aneinander haften als an den Fingern der Leser. Aber „haptisches Vergnügen“? Geh mir weg!)

OK, ich weiß also, dass jüngere Menschen Instagram und TikTok für Nachrichtenquellen, zuverlässige noch dazu, halten. Ich weiß auch, dass sie lieber bunte Zappelbilder zu sich nehmen als elend lange (> 3000 Zeichen…) lange Texte. Soll mir recht sein.

Aber warum finde ich mich in der Situation, zu Beginn des Jahres mein privates Work’n’Surf-Setup nicht etwa mit wohldurchdachten Testtexten zu überprüfen, sondern mich durch zum Teil elend lange Videos durchzugucken, die mir zuerst von der Suchmaschine meines, nun ja: Vertrauens und schließlich vom rasch lernenden YouTube-Algorithmus auf den Bildschirm gedrückt werden.

Zwei Argumente dagegen: Zum einen bin ich als Journalist, der Texte rasch erfassen, beurteilen und ggf. auch redigieren muss, immer noch auf Geschriebenes fixiert – trotz all der Jahre im Radio und im Fernsehen. Zum anderen aber gilt für viele dieser Tech-Influencer (oder wie man diese Menschen allerlei Geschlechts nennen soll):

Sie können es nicht.

Sie können nicht frei sprechen. Sie können frei sprechen, aber ihre Gedanken nicht sinnvoll ordnen. Sie können frei sprechen und ihre Gedanken sinnvoll ordnen, sind aber entweder langatmig oder -weilig und stehlen mir meine Zeit. Die Frage nach einem absolut sicheren E-Mail-Setup (Spoiler: gibt es nicht!) kann man in – sagen wir: 5000 bis 7500 Zeichen umfassend beantworten. Dreißig Minuten Geschwätz oder gar mehr braucht es dafür nicht.

Nennt mich Menschenfeind. Ganz unrecht hättet Ihr nicht damit. Aber ich lerne doch gerne von anderen Menschen – wenn sie halbwegs angenehm aussehen, eine Stimme haben, die nicht aus der Knödelfabrik kommt, und, wenn’s geht, auch didaktisches Talent haben. Und es hülfe (es lebe der Konjunktiv!) sehr, wenn das, was sie erzählen, auch fundiert ist.

Ach ja: Mein privates Work’n’Surf-Setup kann erst mal so bleiben, wie es ist. Ich beschäftige mich nicht erst seit gestern mit der Auswahl der zu mir und meinen Bedürfnissen passenden Tools.

2 Gedanken zu „Aus der Zeit gefallen“

  1. Hear, hear!

    I couldn’t agree more. I’m a (borderline) YouTube addict, using it daily to stay current with (some) of my hobbies: music, watch collecting (affordable, not luxury), and photography. Music can be enjoyed without commentary, but watch reviewers and photography gurus are prone to give in to unstructured, half-informed, overly long, and badly articulated commentary. Their lack of in-depth knowledge (other than reading some manufacturer’s spec sheet) about a subject is more than often (badly) camouflaged by superfluous and irritating video gimmickry (often applied as some visual ’signature), horrendous audio tracks, and lack of elocution.

    I like to read stuff. Well-structured, well-written, edited-to-perfection, succinct articles, that dispense hard-to-get knowledge that I can learn from. At my leisure, to be read over and over when necessary. Practitioners of this dying art are far and few between, sadly. These days, everyone can sit in front of his smartphone, and make a video that isn’t worth anyone’s time. Certainly not mine, having come to an age where anything over, say, 15 minutes, seems a waste of precious time. Especially when someone who mistakenly think he’s god’s gift to broadcasting (the next David Attenborough, no less) turns out to be anything but. Often amplifying his shortcomings by inviting a similarly confused but equally self-absorbed friend to discuss something ‚off the cuff‘. Episodes promising an hour’s worth (or more!(), are generously interspersed with ‚paid promotion‘. I can think of the parameters some new YT algorithm should have to prevent such dross from ever being exposed to the public.

    And a whole new (young) generation seems to become addicted to an old phenomenon that has gained new tracks, the podcast. All the above applies, but the maker doesn’t even need elementary video editing skills. One or more mumbling men with far too much time and digital storage attempt to convey what they deem to be essential knowledge, but, more often than not, in fact showing off their unashamed overconfidence.

    I could go on for a few more paragraphs, but have already trespassed too long. Probably making myself guilty of written diarrhoea, thereby associating myself with those whose lack of self-knowledge and intellectual modesty I’ve so heavy-handedly dismissed above.

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