Übern Teich winken

Väterlicherseits neigt meine Familie zu manchmal überraschenden Entschlüssen. So fand sich beispielsweise, um gleich im ersten Absatz vom Thema abzuschweifen, einem Brief aus ihrem Nachlass zufolge meine Großmutter am einem Morgen in den dreißiger Jahren am Florentiner Bahnhof Santa Maria Novella wieder, wohin sie der Nachtzug gebracht hatte, den sie in München im Affekt nach einem Streit mit ihrem Lebens(abschnitts)gefährten bestiegen hatte. Und sie stellte sich und dem Empfänger des Briefes die berechtigte Frage, was das denn nun wieder für einen Sinn gehabt habe.

Längst nicht so spontan, aber mit weitreichenden Folgen erfolgte in den späten dreißiger Jahren der Entschluss ihrer Tochter, also meiner späteren Tante, ihre Heimatstadt München und gleich das ganze großdeutsche Reich zumindest für ein paar Jahre zu verlassen. Sie hatte es mit den Nazis nicht mehr ausgehalten, und durch das staatliche italienische Reisebüro, für das sie in München arbeitete, war sie an ein Arbeitsvisum für die USA gelangt, in der Folge an einen jungen amerikanischen Anwalt, und the rest is history.

So kam es, dass ein großer Teil der Verwandtschaft auf der anderen Seite des Atlantik zuhause ist. In meiner Zeit in den USA von 1996 bis 2003 sind diese Verwandtschaft und ich ein wenig zusammengewachsen. In der Zeit seither sorgten E-Mail, später auch Zoom und noch einige US-Reisen dafür, dass der Kontakt nicht zu schwach wurde. Aber schon in den Nullerjahren war das nicht immer einfach.

Der zweite Ehemann meiner Tante, ebenfalls in den späten dreißiger Jahren von Berlin in die USA gekommen, war ein eiserner Republikaner, was insoweit interessant war, weil meine Tante eher den Demokraten zugeneigt war. In langen nächtlichen Diskussionen hatten er und ich uns unsere gegensätzlichen Meinungen zu den damaligen Regierungen Clinton und Bush II um die Ohren gehauen, bis wir merkten, dass in dieser Hinsicht keine Annäherung möglich war. Und es ist ein Glück, dass beide, Tante und Zweitehemann, schon vor Jahren im hohen Alter gestorben waren – ich wüsste nicht, ob und wie ich mich mit ihm über Trump II ausgetauscht hätte, ohne dass transatlantisch die Fetzen geflogen wären.

Bleiben die nächsten Generationen, die meiner Cousins und deren Nachkommen. Einer der Cousins, nahezu europäisch linksliberal, muss sich das gegenwärtige Trauerspiel nicht mehr mit ansehen. Sein Bruder, inzwischen auch schon ein Stück über 80, war dagegen immer Republikaner, wenn auch längst nicht so beinhart wie sein Stiefvater. Und trotzdem hatte ich schwere Bedenken, ihn, den ich wie seinen Bruder immer sehr gemocht hatte, mal auf seinen derzeitigen Präsidenten anzusprechen.

Das Schicksal hat geholfen. Meine Unfähigkeit, mit dem CalDAV-Protokoll (das die Synchronisation von Kalendern über mehrere Geräte hinweg regelt) und seinen Implementationen zurechtzukommen, hatte dafür gesorgt, dass mein Kalender selbsttätig (oder durch meine eichene Bleedheit) einer Reihe von Kontakten die Absage ihrer Geburtstage mitteilte. Die darauf fällige Entschuldigungsmail ging auch an meinen Cousin, der freundlich und in dem Sinne antwortete, dass Computer eben nichts für Leute unseres Alters seien (gar nicht wahr: Er war der erste in der Verwandtschaft, der schon 1988 einen Macintosh-Rechner und später einen frühen Luggable hatte). Und in einem Nebensatz erwähnte er, wie furchtbar die Zeiten in den USA unter Trump geworden seien.

Puuhh! Zumindest dieser Kontakt ist also nicht mit Sprengstoff geladen. Hätte ich mir rein statistisch auch denken können, denn statistisch haben nur ganz knapp über 50% der US-Wähler den orangefarbenen Julius gewählt, und statistisch gesehen ist die Zahl derer, die das nochmal machen würden, gesunken. Aber: ich und Statistik…

Es wird also Zeit, den Lieben da drüben ein wenig europäische Solidarität zu zeigen und zum Feiertag zumindest mal über den Teich zu winken. More to follow.

Hutmacher, D.C.

Der Gesunde Menschenverstand™, nicht nur derzeit leider und völlig zu Unrecht als Begründung/Kronzeuge für allen möglichen Blödsinn herangezogen, besagter G. M. sollte mir eigentlich sagen, dass es nicht gut ist für meine geistige und seelische Gesundheit, nachts aufs Smartphone zu gucken und Nachrichten zu lesen. Ich habe es trotzdem getan, und das habe ich jetzt davon.

Dabei kommt es nicht wirklich überraschend, dass Donald J. Trump, 45. und 47. Präsident der Vereinigten Staaten, seine lauthals angekündigten („Liberation day“, my ass!) Zollpläne in die Tat umsetzt – ebenso wenig überraschend wie die Schlagzeilen, die in dieser Nacht meinen Handybildschirm füllen:

Der US-Trump- und auch Medienkritiker Jeff Jarvis hat den passenden Hashtag bereit: .

Toot von Jeff Jarvis: "CNN Business: the market is operating under 'extreme fear.' At this hour, the implied Nasdaq opening is now -800. For no reason, no reason at all. #TrumCrash" - dazu ein Screenshot von CNN Business mit einer Skala, auf der ein Zeiger auf "Extreme Fear" deutet.
Jeff Jarvis, Meister der Ironie: „No reason, no reason at all“

Der Mann, der noch vor Amtsantritt damit drohte, Diktator werden zu wollen, „aber nur für einen Tag“ (ha, ha), wird in meiner Timeline zunehmend als „Mad King“ bezeichnet (u.a. von Cory Doctorow, um nur einen Namen zu nennen, auch wenn der Begriff gut versteckt ist in seinem langen Text) – und seine Politik legt das nahe. Aus POTUS (President of the United States) wird KOTUS, auch wenn sich der Gag nur schlecht übersetzen lässt. So gut isser sowieso nicht.

Bleibt die Frage: Wie lange wird sich der Verrückte König halten können? Bei seinem Volk dürfte die Nachricht spätestens in den nächsten Tagen ankommen (‚Can’t afford that‘: Car dealer reveals how much your payment may jump under Trump tariffs, Trump Agenda May Lead to Buyer’s Remorse Among His Voters), und es wird auf die Ausdauer und/oder Dickschädeligkeit der MAGA folks ankommen, wie langsam oder schnell sich diese Erkenntnis verbreiten wird. Angesichts der tiefen Spaltung der US-Gesellschaft besteht zu Optimismus wenig Anlass.

Und der Hutmacher aus der Überschrift? Der geht auf den Hutmacher aus „Alice im Wunderland“ zurück. Und zumindest als Hutmacher kann Trump auf Erfolge verweisen – schließlich hat er die knallrote oder neuerdings auch schwarze Mütze zu einem politischen Statement ebenso wie zum Erkennungszeichen seines persönlichen Kultes gemacht. Hut ab, Mr. Trump!

Ein Blick in den Mülleimer

Mit dem Mülleimer im Titel ist heute nicht einer der physikalischen Mülleimer gemeint, die hier so rumstehen (Note to self: Biotonne muss noch an den Straßenrand!), sondern der virtuelle, in den ich täglich immer noch mehrere -zig Spamnachrichten kippe, die es gerne in die Kommentarbereiche dieser Seiten geschafft hätten (aber dank zuverlässig arbeitender Plugins nicht schaffen).

Und da zeigt sich, dass zumindest meine ganz persönlichen Spammer noch sehr in einer anderen Zeit leben. Neben dem inzwischen an dieser Stelle reichlich lächerlich gemachten türkischen Escort-Service wollen nämlich Finsterlinge mir und allen, die es (dank der o.a. Plugins eben nicht) zu lesen bekommen, Dinge anpreisen, die vor allem blockchain-basiert oder gar blockchain powered sind. Dabei wissen auch diejenigen, die nicht in der Wikipedia nachlesen müssen oder wollen, was eine Blockchain ist, dass es sich dabei um eine theoretisch interessante, praktisch aber besonders langsame, umständliche und auch unwirtschaftliche Form einer Datenbank handelt. Aber blockchain powered, das ja!

Die andere Hauptgruppe der Möchtegernkommentatoren dagegen dealt mit Kryptowährungen oder behauptet das wenigstens. Dabei werben sie vor allem mit Bitcoin, weil das blöhöde Volk ja die etwas exotischeren Formen von Digitalplunderwährungen wie Ethereum gar nicht kennt. Nun hätte ich die Bitcoin-Geschäftemacher bis vor kurzem ebenso als aus der Zeit gefallen einsortiert wie everything blockchain. Aber seitdem der Orange Julius (der Name gefällt mir noch besser als der Orange Jesus!) sein Herz für Bitcoin & Co. entdeckt hat und jetzt sogar Staatsreserven in Bitcoins einrichten will, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, dass das a thing of the past ist. Seufz.

Auf jeden Fall ist es ein thing, das bei mir zuverlässig im Mülleimer landet.

Nachtrag: Was die russischen Kommentarspammer, die dritte große Gruppe im Mülleimer, eigentlich von mir will, weiß ich mangels Sprachkenntnissen leider nicht. Was Gutes wird es aber nicht sein.

Hey, Mr. Postman!

Es war 1985 in Frankfurt/Main, als ich mich – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal – beruflich in einer Lage wiederfand, die mich überforderte. Ich war für meinen damaligen Arbeitgeber auf der westdeutschen Buchmesse und hatte am Abend vor der Überforderung erfahren, dass ich am nächsten Vormittag den US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Neil Postman zu seinem frisch auf Deutsch erschienen Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ interviewen sollte. Ich war nun nicht völlig unvorbereitet zur Buchmesse gefahren – den Postman aber hatte ich nicht gelesen. Bzw. nur die Seiten, die ich am Abend im Hotelzimmer noch in mich hineinbekam.

Das Interview war entsprechend banal, und Professor Postman teilte wohl mit mir den Eindruck „Was sollte das denn jetzt?“

Im Nachhinein habe ich das Buch doch ganz gelesen – und gedacht: Das, also eine Fernsehlandschaft, in der infotainment die Information verdrängte, Fakten zunehmend durch Emotionen ersetzt und das Urteilsvermögen des Publikums nachhaltig geschädigt wird, das alles ist doch sehr weit weg. Das war anderthalb Jahre nach dem Sendestart des privaten Fernsehens in Deutschland, Satellitenempfang war zwar möglich, aber nicht verbreitet, und in Baden-Baden, wo ich damals wohnte, gab es sowas gleich gar nicht.

Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie.

N. Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, 1985

Sieben Jahre später schrieb Postman dann:

Unsere Abwehrmechanismen gegen die Informationsschwemme sind zusammengebrochen; unser Immunsystem gegen Informationen funktioniert nicht mehr. Wir leiden unter einer Art von kulturellem Aids.

N. Postman, Wir informieren uns zu Tode, 1992

Für eine Medienkassandra hatte ich Prof. Postman bei unserem Treffen in Frankfurt nicht gehalten, seine Thesen aber doch für reichlich düster. Das ist jetzt vierzig Jahre her, und Himmel, hat er Recht behalten! Er hat es zwar nicht so formuliert, aber sogar die Bannon-Methode „Flood the zone with shit“ hat er als Vermüllung des Publikums und seines Weltbildes vorausgeahnt. Und jetzt haben wir einen US-Präsidenten, der ohne Umweg vom Trash-Fernsehen und ohne Qualifikation außer der medialen direkt ins Weiße Haus gekommen war, und zu dessen Rückkehr eben das gleiche Fernsehen entscheidend beigetragen hat.

Und auf unserer Seite des Atlantik? Nicht nur, dass das Unterschichten Privatfernsehen unter dem Stein hervorgekrabbelt ist und inzwischen eine ganz andere Rolle spielt. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen (Disclosure: Ich war fast mein ganzes Berufsleben Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Systems) trägt zur Verdummung bei – ausgerechnet mit den Formaten, die neben den Nachrichten zur politischen Bildung und Aufklärung beitragen könnten. Richtig: die Talkshows, in denen überraschend oft auch Vertreter des Populismus auftreten und ungeprüftes Zeugs verbreiten dürfen.

Was ist mit den anderen Medien? Nun, aktuelle Nutzungsstatistiken habe ich nicht vorzuliegen. Aber das Leitmedium meiner Jugend (wir erinnern uns: im letzten Jahrtausend muss das gewesen sein), die gedruckte Tages- und Wochenpresse, spielt, vermute ich, kaum noch eine Rolle bei der Meinungsbildung; eine Ausnahme dürfte nur das Pöbelblatt mit den VIER BUCHSTABEN darstellen. Das Radio ist unterdessen etwas, das man im Auto hört – und auch das ist möglicherweise eine Technik auf dem absteigenden Ast. Und das Internet? Hach ja, das Internet, wo jede/r schreiben (oder in eine Videokamera hineinsagen) kann, was er/sie will…

Jetzt wäre eigentlich der Absatz mit den konstruktiven Vorschlägen und dem optimistischen Aussichten fällig. Aber den lasse ich heute mal weg.

Hashtag UnplugTrump

Ich will ja nicht angeben mit meiner Weitsicht, aber es war am 8. November 2024, drei Tage nach der US-Wahl und dem Bruch der Ampel (OK, weniger wichtig), als ich anfing, meine zweite Heimat (1996-2003) auch mit meinen Daten zu verlassen. Mail zu einem deutschen Anbieter, Kontaktlisten/Adressbücher weg von Google und Apple, Google Photos leergeräumt etc. Was sich seit dem zweiten Amtsantritt des Orange Jesus getan hat, hat mich in diesem Entschluss nur bestätigt. Und wenn ich in meinen Mastodon-Feed gucke (entwickelt in Europa, gehostet in Bonn!), das einzige soziale Netzwerk, das ich derzeit regelmäßig begucke und bespiele, sehe ich immer wieder unter dem #UnplugTrump Tipps und Berichte von anderen Menschen, die das gleiche tun.

Toot von @mtklein@norden.social: "Schaut mal bei #unplugtrump vorbei - man muss ja nicht direkt alles ändern, aber es gibt dort gute Inspirationen, das Richtige zu tun."
Beispielhafter Toot von mtklein (nicht verwandt, nicht verschwägert)

Mal von einem Feld abgesehen, wo es wirklich schwierig wird, sich dem Einfluss US-amerikanischer Tech-Bros zu entziehen (mobile Betriebssysteme!), finden sich tatsächlich genügen Alternativen für Deutschland Angebote für Menschen, die ihre Daten jetzt doch lieber europäisieren wollen. Dabei ist nicht ganz so einfach, 1:1-Ersatz für die gewohnte Google-Apple-Microsoft-Umgebung zu finden: bei der einen EU-Alternative fehlt die wichtige oder auch nur liebgewonnene Funktion, die andere kann wiederum das nicht, und dass das Ganze nicht automatisch gratis daherkommt, muss der Mensch auch erst einmal verdauen. Auch wenn es nicht auf Dauer blogfüllend ist, werde ich in den folgenden Tagen, Wochen und vor allem Einträgen einige meiner Empfehlungen aufzeigen – incl. Vor- und Nachteilen.

Andere sind da schon weiter. Schon mehrfach wurde mir European Alternatives ans Herz gelegt, und gerade eben stolpere ich über Don Dahlmanns EU Alternativen zu US-Cloud Diensten. Beide Listen bilden nicht 1:1 meine Vorschläge und Entscheidungen ab. Müssen sie aber auch nicht.

Das alles ist nicht nur eine Sache für das stille Kämmerlein. Gerade eben, so zwischen dem ersten Absatz dieses Textes und dem Screenshot, habe ich noch meine Schwester am Telefon davon überzeugt, ihre Standardsuchmaschine von DuckDuckGo auf Startpage zu ändern. DDG gehört zwar eher zu den Guten – aber sie sitzen eben nicht in der EU. Und die Suchergebnisse waren auch schon mal besser.

K reloaded