Es muss ca. 45 Jahre her gewesen sein, mehr als die 41 Jahre, die ich als hauptberuflicher Vollzeitjournalist hinter mich gebracht habe. Vor ca. 45 Jahren also brachte ich meine Mutter, die Fliegen hasste (also das Reisen in Flugzeugen – obwohl: die lästigen Viecher vielleicht auch), für eine Dienstreise zum Nachtzug nach Hamburg – ja, so lange ist das her: es gab noch innerdeutsche Nachtzüge!
Auf dem Bahnsteig traf sie den Kollegen, mit dem sie die Dienstreise machen sollte: ein freundlicher Herr, der mich, das halbe Kind, fragte, was ich denn mal werden wollte (das klingt jetzt klischeehafter, als das Gespräch ablief). Ich sagte was von Journalismus („irgendwas mit Medien“ sagten die jungen Menschen erst später), und er fragte, ob ich denn nicht lieber was G’scheits lernen wollte.
Der Herr war selbst Journalist, wusste also, wovon er sprach. Ich wurde trotzdem Journalist.
Der Herr hieß Robert Lembke und war meiner Generation und vielleicht auch noch der nächsten vor allem als freundlicher Moderator einer historischen Ratesendung im Fernsehen bekannt. Mit meiner Mutter (Disclosure: Unter ihrem Geburts- und Künstlernamen war sie als Annette von Aretin bekannt) hatte er schon seit 1949 und bis zu seinem Tod 1989 zusammengearbeitet, -gespielt und geblödelt; ich denke, sie waren gute Freunde – fragen kann ich sie ja nicht mehr.
Über „den Robert“ wusste ich ein paar Dinge: dass sein Vater Jude gewesen war, dass er den väterlichen Namen „Weichselbaum“ der Nazis wegen gegen den Geburtsnamen seiner Mutter „Lembke“ hatte tauschen lassen (und dürfen), dass er nicht nur der lustige Mann aus Radio und TV war, sondern ein extrem kluger und intelligenter Journalist und Manager – na, so Zeugs eben. Was ich z.B. nicht wusste, obwohl das nun wirklich kein Geheimnis war: dass er in München-Harlaching in einem Haus in der Aretin-Straße wohnte, die selbstverständlich nicht nach meiner Mutter benannt war, sondern nach dem Historiker und Politiker Karl Maria Freiherr von Aretin aus dem 19. Jahrhundert.
Das habe ich gestern gelernt, als ich in der ARD-Mediathek die Dokumentation „Robert Lembke – Wer bin ich?“ anguckte. Und was habe ich daraus nicht noch alles gelernt! Dass Lembke eine eher unglückliche Kindheit hatte, dass sein leiblicher Vater Jude, sein Stiefvater aber Nazi war, wie er sich schließlich vor den Nazis versteckte und nach dem Ende der Naziherrschaft sich daran machte, eine neue Gesellschaft in Deutschland mit aufzubauen, sogar bereit, die Vergangenheit auch einmal zu vergessen. Dass er privat ein eher schwieriger Mensch war und dass seine Tochter und seine Enkel bis heute damit zu kämpfen haben, hatte ich zwar schon vor Jahren im Familiengespräch gehört – warum das aber so war, wurde mir erst gestern zumindest ein wenig klarer.
Ich fürchte, der jetzt jungen Generation wird das alles nicht viel sagen – sollte es aber. Weil es nicht nur den Menschen R.L. klarer zeigt, sondern auch die Geschichte (und Vorgeschichte!) der damals jungen Republik, in der wir heute immer noch leben dürfen.
Die Dokumentation „Robert Lembke – Wer bin ich?“ läuft heute Abend um 23:35 im Ersten und ist danach noch bis zum 6. September 2025 in der ARD-Mediathek zu finden.